
ABOUT
Shakespeare’s story about the Trojan War begins in the seventh year of the epic struggle.
The conflict has reached a deadlock as Troy appears to be an impenetrable fortress. Exhausted from battle, the Greeks lie on their camp beds, longing for a decisive conclusion, a catharsis. But discord and chaos have crept into their ranks, and the mutinying soldiers are eager to return home. Inside the walls of Troy, Troilus and Cressida, who are deeply in love, are finally able to spend the night together. However, this first night of passion is also their last: the following morning, not long after the couple have professed their eternal love, Cressida is exchanged for an important Trojan prisoner of war. She is delivered to the military leaders of the Greeks and falls victim to their lust. Cressida sees no alternative but to play along, pretending to be flattered by the Greeks’ amorous advances. Troilus misinterprets her behaviour as a betrayal of his love and he angrily attack the Greeks. This way, Shakespeare steers this Romeo-and-Juliet-like story towards a final bloodbath that sees the death not only of the Trojan prince Hector, but of his entire offspring. Troilus, the only survivor, swears on his broken heart that this is just the start of his revenge. While the massacre spells the end of the Trojan War, it is also the beginning of a chain reaction of vengeance that ultimately turns the conflict into the “mother of all wars“. Shakespeare expresses the central notion underlying this bitter comedy through the words of Cressida: “To be wise and love exceeds man’s might; that dwells with the gods above“ (III,2) With Troilus and Cressida, then, Shakespeare rather cynically and spitefully expresses his disbelief in human love.
Opening night
12 May 08 Vienna,
Wiener Festwochen
30 May 08 Munich,
Münchner Kammerspiele
VERNICHTUNGSLUST
In einem Publikumsgespräch am 14. Mai 2008 im Theater an der Wien beantwortete Luk Perceval Fragen zur Inszenierung Troilus und Cressida. Aufgezeichnet von Matthias Günther.
Es fällt auf, immer wenn Luk Perceval einen Shakespeare neu inszeniert, wird das Stück neu geschrieben, ich denke an Schlachten! oder Othello. Sind sie der Meinung, dass man Shakespeare neu schreiben muss in einem heutigen Stil?
Luk Perceval: Ich gehe immer davon aus, dass Theater keine museale Kunst ist, sonst hätte es Shakespeare nicht gegeben. Shakespeare hat sich wie Molière oder Racine immer neu definiert über die szenische Collage. Shakespeare hat Motive, die damals so wie die Ilias-Geschichte, von der in seiner Zeit nur ein Drittel übersetzt war und somit die Kenntnis davon völlig verfälscht, genutzt, um einen eigenen Kommentar auf die Geschichte zu entwickeln. Und genau das ist das Faszinierende an dem Stück, sein Kommentar auf die Geschichte der Ilias. Und man weiß nie, ob die Texte, die wir heute lesen, auch tatsächlich damals so gespielt wurden. Die Texte wurden nach der Vorstellung eigentlich erst notiert. Und es ist oft eine Sammlung von ganz vielen Textsegmenten, von denen man nicht weiß, kommen sie überhaupt von einem Autor. Ist es überhaupt möglich, dass ein Autor namens Shakespeare das alles geschrieben hat? Es gibt viele, die meinen, es war ein Kollektiv. Was eigentlich nahe liegt, weil Shakespeare auch Schauspieler war und mit seinen Schauspielern wahrscheinlich ständig das gemacht hat, was wir heute während den Proben machen, nämlich schneiden und montieren. Für mich ist Shakespeare Patchwork und wir müssen in einer Zeit, in der das Denken schneller und assoziativer funktioniert, eine Form finden, das umzusetzen. Shakespeares Sprache ist oft sehr erklärend, sehr plastisch und da versuche ich immer nach einer heutigen Umsetzung zu suchen und das bedeutet eigentlich, dass man mit dem Publikum kommuniziert, das schneller denkt. Und das bedeutet, dass oft die Nichtwiederholung das Geheimnis bedeutet. Deswegen sind die Fassungen meistens der Versuch, uns nicht in der Rhetorik zu verlieren. Wir haben den Text einigermaßen auf seine Essenz eingedampft und versucht ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der Liebesgeschichte und der Kriegshandlung. Ich finde Kunst, und für mich ist Theater eine Kunstform, dann reizvoll, wenn bei mir selbst Kopfkino entsteht. Und das entsteht immer, wenn es ein Geheimnis gibt, wenn es sich nicht völlig ausformuliert und erklärt. Und deshalb sind die Fassungen ein Versuch, eine Situation manchmal auf nur einen Satz zu reduzieren.
Diese Aufführung formuliert sich ja ganz stark über Atmosphären und hat darin ihre große Stärke, die marode Männerwelt, die tropfenden Auffangschüsseln. Wie entwickeln sie ihre Bildräume, ihr Theater der Bilder?
Shakespeares Texte haben eine solch komplexe Dimension, dass man sie mit jeder Deutung auf der Bühne eigentlich nur verkleinert. Was das Bühnenbild angeht, so ist es über die Jahre zu einer Reduzierung der Mittel gekommen, wobei der Schauspieler immer mehr in den Mittelpunkt rückte und die Form, das Bühnenbild, eine Art von Widerstand wurde. Ich glaube das beste Bühnenbild wäre ein Feuer, das eine Art von Anziehungskraft hat und gleichzeitig abstößt. Aber es ist natürlich schwierig, das jeden Abend zu erzeugen. Und dann lande ich immer in sehr atmosphärischen Bühnenbildern, die eher den Raum und die Zeit betonen. Die Zeit, die vergeht. Die Zeit, die man hat, zuzuhören. Ich wollte in dieser Inszenierung von Anfang etwas auf der Bühne haben, das eine Atmosphäre darstellt von “es hat keinen Sinn, dass wir das Dach reparieren, weil morgen ist es doch wieder kaputt geschossen.” Der Krieg stagniert. Die Sachen verbessern sich nicht. Man kann nur Schüsseln hinstellen und es tropft rein. Es herrscht eine Art von Aussichtslosigkeit und die Schüsseln, das Tropfen, haben mir das eigentlich geboten, was ich suche. Jeder Schauspieler und jeder Zuschauer wird am Anfang gezwungen, sich auf das Tropfen akustisch einzustellen. Das braucht Zeit. Die Bühne ist für mich immer mehr ein Raum der Wirklichkeit und das Theater findet eigentlich im Kopf der Zuschauer statt. Ich brauche Ruhe in diesem Raum, um das, was mir das Wichtigste ist – der Mensch, anzuschauen und zu versuchen – ihn und mich selbst zu durchschauen.
Shakespeares Troilus und Cressida gilt als eines seiner schwärzesten und zynischsten Stücke.
Was Shakespeare beschreibt, kann man bitter nennen oder man kann es auch einfach nüchtern nennen. Er sagt, der Mensch ist ein biologisches Wesen. Man muss den Menschen in seinem Verhältnis zur Natur zeigen, das verletzliche Individuum gegen die Macht der Natur. Ulysses hält ganz am Anfang einen Monolog über die vertikale Ordnung der Natur, die uns schon vorlebt, wie wir miteinander umzugehen haben, was oben und unten bedeutet. Was mich an dem Stück während der Probenarbeit immer mehr faszinierte und warum ich es mittlerweile regelrecht liebe: Der Krieg wird zum Alltag und die Langeweile beginnt zu dominieren. Am ersten Tag werden noch spektakuläre Bilder verbreitet; in der Ilias befinden wir uns im neunten Kriegsjahr, bei Shakespeare erst im siebenten. Der trojanische Krieg erschlafft und läuft aus. Ein solcher permanenter Kriegszustand konfrontiert den Menschen mit seiner abgrundtiefen Langeweile: Mit Leere und Aussichtslosigkeit. Er zeigt den Kriegszustand als “condition humaine”. Er besitzt keine Katharsis mehr. Niemand kann sich mehr an seinen Ursprung erinnern. Dieser Zustand braucht einen neuen Auslöser, damit der Krieg wieder in Gang kommt, damit die Bombe zündet. Deshalb wird eine Demütigung, eine persönliche Verletzung ausgedacht, um Achill zu provozieren, um sein Kriegsblut hochzukochen. Es wird eine Demütigung ausgedacht, um letztendlich auch Troilus soweit zu kriegen, dass er vom unberechenbaren Krieger zum Rächer wird. Es geht um Manipulation und ultimative Verletzung. Shakespeare zeigt eigentlich, dass der Mensch wie der Affe ein biologisches Wesen ist: Wenn es zu wenig Platz gibt, fängt er an, die anderen zu zerstören. So ist es, kann man sagen, ziemlich hoffnungslos. Ich finde genial, dass Shakespeare inmitten dieser Landschaft der Vernichtung eine der schönsten Liebesgeschichten, die er je geschrieben hat, entwickelt. Noch bevor Troilus Cressida das erste Mal küsst, sagt sie, ,,nein, das will ich nicht, denn ab dann bestimmst du mein Leben”. Das finde ich unglaublich an der Figur. Cressida sagt, ,,lieben und weise sein, geht nicht für Menschen, das können nur die Götter”. Sie weiß, sobald zwischen zwei Menschen ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis entsteht, ist es schon falsch. Schon kaputt. Auch das ist sehr modern. Das Prinzip der Geschlechterordnung wird von ihr unterlaufen. Wobei Shakespeare, brutal, wie er ist, zeigt: Die Frauen haben nicht die geringste Chance. Die wahrsagende Kassandra wird von der eigenen Familie weggesperrt. Hektors Frau, Andromache, wird nicht zugehört. Die Krieger-Männer leben den Machismo. Ein solches Machtgefüge basiert auf Kolonialismus; auf ihm gründet unsere ganze Weltordnung. Krieg hat nicht nur in der Langeweile seine Ursache, sondern darin, dass der eine über den oder die andere frei verfügen kann und sagt: Du bist minderwertig! Der Dreckredner und Sklave Thersites spielt ja im Stück eine sehr wesentliche und zentrale Rolle, in Ihrer Inszenierung ist er zwar meistens da, aber er spottet nicht viel, ist eher stumm. Warum ist das so? Thersites wischt den Boden. Thersites macht den Dreck weg. Er wird unterdrückt. Achilles spukt auf ihn, er ist der letzte Gedemütigte im Stück. Und das einzige, was er als Waffe hat, ist sein Zynismus, sein Stolz. Die Kombination von totaler Demütigung und die Demütigung zu ertragen, weil er an der untersten Stufe dieser ganzen Entwicklungskette steht, das ist für mich Thersites. Ursprünglich hatten wir während der Proben mehr Text, aber mehr und mehr fand ich, dass er für das Bild, das er darstellt, nicht mehr sondern weniger Text braucht. Wenn du den Untergang deiner Feinde wünschst, musst du nur am Ufer des Reviers sitzen und warten bis die Leiche vorbeitreibt. Eine interessante Inszenierungsstrategie ist der Rollenwechsel. Welche Funktion hat diese Doppelbesetzung? Das Stück ist zu personallastig, zu schwer und es tut dem Stück nur gut, wenn man es mit weniger Schauspielern machen kann. Das Stück ist sehr stark verwurzelt in der Tradition des Elisabethanischen Theaters. Was Shakespeare aus den Griechen und Trojanern gemacht hat, das sind Witzfiguren, Clowns: Die Griechen sind Volltrottel – die Trojaner sind verweichlicht, entscheidungslos und werden von ihren Frauen angetrieben. Diese Clowns und Deppen werden nach und nach immer bösartiger. Sie greifen ein Mädchen wie Cressida an: ,,Komm her, hast du schon einmal ein Küsschen gekriegt?” Clowns, zur Armee versammelt, werden zu grausamen Monstern. Sie leben von der Lust, alles, was schön ist am Leben, genüsslich zu vernichten. Das da absichtlich eine Tragödie, eine tragische Liebesgeschichte zwischen Clownsnummern gespielt wird, ist in dieser Zeit völlig normal. Und da brauche ich eine spielerische Art, das umzusetzen und wenn die Schauspieler das alles doppelt spielen, verstärkt es die totale Sinnlosigkeit. Helena läuft von Menelaos zu Paris, beide sind der gleiche Schauspieler. Und warum mögen wir Shakespeare, warum spielen wir das immer noch oder schon wieder, warum wollen wir, was man das Bittere, das Schwarze nennen könnte, angucken? Was Shakespeare für mich ultimativ erzählt, ist die Sinnlosigkeit. Am Ende siehst du eine Rachekette, die letztendlich zu uns führt. Und diese Sinnlosigkeit ist, glaube ich, das Positive. ,,To be or not to be” und keiner hat eine Antwort darauf. Lear sagt: ,,From nothing to nothing”. Shakespeares Verdienst ist groß, weil er im Grunde sehr verwandt ist mit Beckett. Lauter Leben ohne Leidenschaft, wobei man den Figuren beim Warten zusehen kann: Sie warten auf den Tod – also eigentlich auf Godot. Inmitten dieser Langeweile entsteht in ihnen eine unbändige Lust zu vernichten. Wir sehen Menschen im Kampf mit ihrem eigenen Wahn-Sinn. Menschen, die nicht einsehen, dass der Hass, den sie spüren, eigentlich Selbsthass ist.

Barbara Nüsse
Bernd Grawert
Oliver Mallison
Joel Harmsen
Annette Paulmann
Julia Jentsch
Hans Kremer
Christoph Luser
Peter Brombacher
Wolfgang Pregler
Stefan Merki

Text William Shakespeare
Translation Paul Brodowsky
Adaptation Luk Perceval
Direction Luk Perceval
Scenography Luk Perceval
Costumes Ilse Vandenbussche
Lighting design Max Keller & Luk Perceval
Music Laurent Simonetti
Dramaturgy Matthias Günther


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